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Mittwoch, 14.10.1998 - Mainpost, Lokalsport Würzburg
Gefangen im Spessart
WÜRZBURG · Mit Lutz Müller beginnt beim SV Würzburg 05 die Nach-Wolf-Ära. Vor der Pokalpartie in Bochum stellen wir Ihnen den neuen Coach vor.
¤ VON ACHIM MUTH
Daß solch ein Engagement als Wasserball-Trainer im wilden Unterfranken auch einen Hauch
von Abenteuer birgt, war Lutz Müller bald klar. Da saß er jüngst im Zug von Darmstadt
nach Würzburg, als die Eisenbahn im gemütlichen Bahnhof zu Gemünden plötzlich Rast machte.
"Der Zugführer", sagt Müller, "hat sich geweigert weiterzufahren, weil die Waggons mit 200
Prozent überbelegt waren." Da hockte er also fest im Spessart, während seine Schützlinge im
Adami-Bad ohne ihren Trainer schwitzten.
Doch keine Angst, es blieb bislang die einzige böse Überraschung in Müllers neuem Job.
Und dabei ist die Aufgabe nicht leicht, denn der Hesse löst ein Würzburger Urgestein in Sachen
Wasserball ab. Nach 14 Jahren hat Günter Wolf das Revier geräumt. Ihm folgt der 45jährige
Diplom-Sportlehrer Lutz Müller aus Darmstadt. Es ist für ihn die erste Stelle in der Bundesliga, "und damit eine Herausforderung". Zumal er weiß, "daß viele Spieler aufgehört haben und es gilt, die Liga zu erhalten". Seine ersten Eindrücke waren positiv, "es macht Spaß, mit den Jungs zu arbeiten."
12, 13 Spieler seien regelmäßig beim Training, die Hälfte jedoch seien Nachwuchsathleten aus
der A-Jugend. So ist Müller froh, daß wenigstens einige bewährte Kräfte geblieben sind.
Jürgen Helmschrott zum Beispiel, der Kapitän, der in seinem Einsatz "vorbildlich ist".
Dazu Andreas Reinhard, Holger Altenhöfer und natürlich Michael Ilgner, "der wohl unser
wichtigster Spieler sein wird." Nach dem Verlust von Weltklasse-Keeper Alexander Chigir
will Müller, der schon in jungen Jahren das Traineramt erlernt hat und den A-Schein besitzt,
Andreas Kalb als Nummer eins aufbauen. "Er ist ein guter Torhüter, man sollte aber nicht den
Fehler machen und ihn mit Chigir vergleichen. Das wäre nicht fair."
Zwei Schwachpunkte hat Müller bereits erkannt: Das mangelhafte Überzahlspiel, seit Jahren ein
Mißstand beim SV 05. Daran feilt er bereits seit Wochen. Zum anderen fehlt ein Mann für die
Center-Position. Zwar könnte Ilgner die Rolle problemlos ausfüllen, dann aber würde er im
Spielaufbau vermißt werden. So liebäugelt der Coach mit einer Rückkehr von Jaro Marton, "den
ich jederzeit einbauen würde, er ist ein sehr guter Spieler." Probleme hätte er allerdings mit
anderen altgedienten Nullfünfern, die jetzt in der Vorbereitung nicht mitziehen, später aber
ab und zu mitspielen wollen. Das sei ungerecht gegenüber jenen Akteuren, die regelmäßig
trainieren.
Vor dem Saisonauftakt am Samstag mit der Pokalpartie beim Zweitligisten in Bochum ist auch
die Mannschaft positiv gestimmt. "Der neue Trainer ist sehr engagiert", sagt Kapitän Jürgen
Helmschrott, der eigentlich seine Badehose an den Nagel hängen wollte, jetzt aber "nicht
alles untergehen" lassen will.
Nur mit Junioren sei der Klassenerhalt schwer zu realisieren.
Trotzdem, auch mit der Erfahrung der gestandenen Bundesliga-Recken, verlangt Müller volle
Konzentration auf das eine Ziel: "Bei Duisburg 98 gab es jüngst einen ähnlichen Umbruch.
Damals sind die mit vier Punkten abgestiegen." Das soll ihm mit Würzburg nicht passieren,
und deshalb setzte sich Lutz Müller in der Vorbereitung oft montags, mittwochs, donnerstags,
freitags und samstags ins Züglein und reiste nach Würzburg zum Training. Freilich sei das
Streß, aber der Sportlehrer ist sich ja dessen bewußt, "daß das kein Job auf Lebenszeit ist".
Aber auf die Chance Bundesliga, das spürt man, ist er richtig scharf. Und dafür fährt man
gern 90 Minuten von Darmstadt nach Würzburg. Auch wenn's manchmal etwas länger dauert . . .
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