Lange, für manche Zuschauer, die sich zum Fußball verabschieden wollten, fast schon zu lange, hat Marc Politze Center der Nationalmannschaft und von Waspo Linden beim Hannover-Cup auf sich warten lassen. In drei Vorrundenspielen ohne Torerfolg geblieben und schon an sich selbst verzweifelnd, erzielte er gestern seinen ersten Turniertreffer. Und das war nicht irgendeiner: Sein Golden Goal zum 10:9 (3:3, 1:0, 0:3, 4:2 / 1:1, 0:0, 0:0, 1:0) über die Niederlande markierte nach exakt 37:30 Minuten den spektakulären Schlußpunkt einer dramatischen Halbfinalpartie. Damit brachte Politze die deutsche Nationalmannschaft ins Endspiel heute um 13 Uhr gegen Jugoslawien. Der Sieg der DSV-Auswahl ist um so bemerkenswerter, weil er ohne Kapitän René Reimann, der zur Hochzeit eines Verwandten in Italien weilt, zustande kam.
Nachbarschaftsduelle gegen die Niederländer sind in jeder Ballsportart von besonderer Brisanz und stets ein Highlight. Das war auch gestern im Stadionbad nicht anders.
Eine stattliche Kulisse, die es zuvor bei diesem Turnier nicht gegeben hatte, wurde bei kühlen Außentemperaturen und feuchtheißer Luft in der Halle durch ein Wechselbad der Gefühle geschickt. Der 2:0-Führung für die Niederlande, dem Ausgleich zum Viertelende durch Steffen Dierolf und dem Führungstreffer von Klingenberg zum 4:3 zur Halbzeit der regulären Spielzeit, folgte aus deutscher Sicht ein ernüchternder dritter Abschnitt.
Probleme in der Centerverteidigung führten dazu, daß die traditionell starken holländischen Rückraumschützen in Position gebracht wurden und Alexander Chigir dreimal aus acht Metern überwanden. Doch Deutschland, das gilt auf einmal im Wasserball, ist, wenn überhaupt, erst mit der Schlußsirene besiegt. Den Beweis dieser These erbrachte im vermeintlichen Schlußdurchgang, der neben Politze zweite Hannoveraner im deutschen Team. Sven Reinhardt bislang durch eine für seine Verhältnisse ungewohnt disziplinierte Spielweise aufgefallen, faßte sich ein Herz und zeigte die Tugenden, die über Linden und Limmer hinaus so unvergleichlich machen. Quasi als Nachfolger des wegen dreier persönlicher Fouls ausgeschiedenen Steffen Dierolf, probierte er es gegen die niederländische Verteidigung wie der Schwabe mit Schüssen aus größerer Entfernung. So als würde ihm das Treiben zu bunt, schaffte er es zunächst mit Kraft den niederländischen Keeper Arie van der Bunt das 5:6 ins Netz zu bringen, zitterte sich anschließend nach einem Querpaß von Patrick Weissinger förmlich zum Ausgleich und beförderte die im Wasser verbliebenen Deutschen mit seinem schönsten Tor sogar mit 8:7 in Front (28.). Doch der Traum vom Finaleinzug war damit noch nicht zur Wirklichkeit geworden. Gerben Silvis reichte eine Zehntelsekunde der Unaufmerksamkeit von Dirk Klingenberg, um mit dem 8:8 die Verlängerung zu erzwingen.
Wer sich aus dem Publikum vor dieser Zusatzzeit zugunsten der versagenden deutschen Profifußballer verabschiedet hatte, dürfte das bereits zwei Stunden später bereut haben. Wenngleich der Hannover-Cup nicht mit dem Play-off um die deutsche Meisterschaft zu vergleichen ist, zeigte sich in der entscheidenden Phase, daß auf den Erfahrungsschatz eines Alexander Chigir, der mit Würzburg 05 auf diese Weise ins Halbfinale einzog, auch in der Nationalkappe nicht zu verzichten ist. In nahezu unnachahmlicher Weise verlängerte er selbst bei den hochkarätigsten Chancen, die ohnehin nervenaufreibende Verlängerung auf die finale Stufe. Als nach zweimal drei Minuten ohne Sieger beim Stand von 9:9, dem Golden Goal-Modus entsprechend, der nächste Gegentreffer der letzte gewesen wäre, steigerte sich der gebürtige Russe zu gymnastischen Reaktionen, die ansonsten Tänzern des Bolschoj-Balletts vorbehalten sind. Die Zuschauer, aufgesprungen bei einer Rückhand von Politze, die nur die Latte traf, sahen beim direkten Gegenzug der Niederländer in einer 2:1 Situation gegen Klingenberg schon das Aus vor Augen. Doch davor bewahrte die deutschen Fans mit klarem Blick Chigir, indem er in unglaublicher Art zwei Schüsse aus nächster Nähe parierte.
In zweiten Versuch seiner Spezialität, des direktes Torwurfs ohne Blickkontakt mit dem Torwart, war Politze schließlich der viel umjubelte Matchwinner.
Dennoch siegten die Deutschen mit Glück, Chigirs Geschick, Dierolfs und Reinhardts Mut sowie einer geschlossenen Mannschaftsleistung. "So spannend kann Wasserball sein", sagte Cheforganisator Kurt-Heinrich Maier. Im Gegensatz zu den Multimillionären im Fußballertrikot sicherlich schon, denn die Wasserballer zeigten tatsächlich die vielzitierten deutschen Tugenden. Doch dazu sind Amateure, die mit Herz und Verstand kämpfen, wahrscheinlich eher in der Lage.
VE:3:3, 0:1, 3:0, 2:4/ 1:1, 0 : 0/ 0: 0, 1 : 0
Deutschland: Sven Reinhardt (5), Steffen Dierolf (3), Dirk Klingenberg, Marc Poltize
Niederlande:Arno Havenga (2), Gerben Silivis (29, Siors Kooiman, Marco Booy, Eelco Uri, Bas de Jong, Niels van der Kolk
SR: Szekely (ISR / Tulga (TUR)
pF: 13 / 10