Der Untergang des deutschen Wasserballs

Von Torsten Wendlandt

Berlin - Das Wasserball-Idol schluckte nach der Schluss-Sirene eiligst ein paar Bierchen. Hagen Stamm (39), zweimal Europameister und 1984 Olympiadritter, hatte ihn in Hannover mit ansehen müssen, den Super-Gau des trostlosen deutschen Häufchen Elends, das vor einer Woche im Krampf um das letzte Sydney-Ticket gegen Rumänien abgesoffen war und sich erstmals in der Geschichte nicht für die Olympischen Spiele qualifiziert hatte. Wasserball-Exitus in der Expo-Stadt, staatlicher Geldhahn zu.

Von einer regelrechten «Katastrophe» sprach der Präsident der Wasserfreunde Spandau, von «bitteren Tränen» seiner fünf Männer vom Rekordmeister im Team. Und von groben Fehlern seines Freundes Uwe Sterzik (34) bei einem «dilettantisch organisierten Turnier» redete Stamm im ersten Frust, von Sterziks «taktischen Patzern, Motivationsunfähigkeit und Unerfahrenheit». Torwart Tchigir hätte im Match oft «Pressdeckung» gebrüllt, Sterzik hingegen Zonenverteidigung spielen lassen.

Der ratlose Bundeshonorartrainer, vor zwei Jahren vom finanzschwachen Deutschen Schwimmverband (DSV) als Billiglösung verpflichtet, hat Antworten aus der Sparte «dumm gelaufen» parat. «Die Angst vor dem Versagen war in den Köpfen», sagt der Duisburger. Die Spieler wären schon «hochsensibel» gewesen, da wollte er nicht noch mehr Druck machen, «Verteidiger Tomanek war gegen die Rumänen verletzt» und überhaupt «waren zu wenig Zuschauer da und nicht das, was man Heim-Schiedsrichter nennt».

Doch Sterzik selbst ist lediglich eine Beckenranderscheinung des Wasserball-Untergangs. Für Spandaus Coach und Rekordnationalspieler Peter Röhle (43) war der deutsche Weg in die Versenkung (Olympia 1996 Neunter, EM 97 Zehnter, WM 98 verpasst, EM 99 Achter) vorbestimmt. «Die Talsohle war lange erreicht, jetzt ist sie sichtbar», meint er und fügt hinzu: «Das Einzige, was weiterhilft, ist eine professionelle Bundesliga außerhalb des DSV.» Weil der Verband Verträge mit den Medien blockiert, ist keine Eigenvermarktung der Liga möglich. Röhle: «Die Auswahl hat nicht mal einen Einkleider und läuft in Klamotten vom alten Ausrüster herum.»

Dafür besitzt sie mit Sterzik, Cheftrainer Nico Firoiu, Assistenztrainer Dirk Hohenstein, DSV-Wasserballwart Ewald Voigt-Rademacher, Leistungssport-Fachwart Peter Kilz und Auswahl-Manager Dietmar Helm eine Führungsriege, die Erich Ribbeck kaum zu bieten hat. «Welche Mannschaft führt die Mannschaft?», fragt Röhle und Cannstatts Trainer Henry Thiedke meint: «Profilneurotiker, die ihr Postengerangel auf der Spielwiese großer Turniere austragen.» Kilz, bei der EM 1997 als Mannschaftsbetreuer gefeuert, sei «der Totengräber des deutschen Wasserballs, unfähig und untragbar» und habe den Posten nur, weil er als Präsident des mitgliederstarken nordrhein-westfälischen Verbands die meisten Stimmen fängt. Thiedke ist sich mit seinem Hannover Kollegen Bernd Seidensticker einig: «Wenn die Führungsclique nicht komplett abgelöst wird, stellen Cannstatt und Hannover keine Spieler mehr für die Auswahl ab.»

Voigt-Rademacher übrigens war während der schwarzen Tage von Hannover auf dem Weg zum Kongress des europäischen Verbandes (LEN) nach Paris. Dumm gelaufen: Er kam zu spät und verpasste als deutscher Delegierter die Sitzung. Somit taucht Deutschland vorerst nicht einmal auf dem Turnierplan für die EM-Quali 2001 auf . . .

(Berliner Morgenpost 21.05.2000)


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