Olympische Erinnerungen

Rolf Lüdecke vergleicht Atlanta und Sydney

VON DR. GÜNTER SCHWILL

Rolf Lüdecke (Poseidon Hamburg), den Spandauern als Endspielschiedsrichter bei vielen Meisterschaften bekannt, genießt auf der ganzen Welt hohes Ansehen. In den letzten 20 Jahren trat er bei fast allen internationalen Großereignissen auf. Seit 1985 pfiff er sechs Europameisterschaften, zwei Weltmeisterschaften (Rom und Perth '98) sowie zwei Olympische Spiele (Atlanta und Sydney). In Atlanta leitete er das Endspiel Spanien gegen Kroatien, auch in Sydney wurden ihm schwere Aufgaben (u.a. das Halbfinale Ungarn - Jugoslawien) übertragen. Auch kam ihm die Ehre zu, die Olympiapremiere der Frauen zu eröffnen. Praktisch auf dem Olymp stehend, trat jetzt der 54jährige Rolf Lüdecke als Schiedsrichter zurück. Damit ist er frei, seine Erfahrungen und internationalen Verbindungen dem DSV zukommen zu lassen.
Wasserball ist Familiensport bei Lüdeckes. Sohn Stefan (Jahrgang 1980), mehrfach in DSV-Nachwuchsmannschaften im Einsatz, spielt derzeit in einer kalifornischen Collegemannschaft und hofft, auch im A-Kader in Deutschland seine Chance zu erhalten.
In einem lesenswerten Beitrag in der Vereinszeitung von Poseidon Hamburg hat Rolf Lüdecke Eindrücke, Beobachtungen und Gefühle niedergeschrieben, die es verdienen, einem größeren Leserkreis zugänglich gemacht zu werden. (Originaltext unwesentlich gekürzt und bearbeitet).

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Die Wiedergeburt des Olympischen Gedankens

Von Rolf Lüdecke

Unabhängig von der Qualifikation der deutschen Wasserball-Nationalmannschaft für die Olympischen Spiele in Sydney war ich vom Technischen Wasserballkomitee des Weltverbandes FINA als "Neutraler Schiedsrichter" für Sydney nominiert worden. Damit war ich der einzige offizielle Vertreter im Bereich Wasserball des Deutschen Schwimmverbandes. Eine ehrenvolle Berufung, wenn man die Zahl der "Neutralen" betrachtet. Jeder Kontinent stellt nur einen neutralen Schiedsrichter, Europa als "Hochburg" des Wasserballs fünf. Dazu konnte jedes Land pro teilnehmende Mannschaft einen Unparteiischen nominieren.
Groß war die Vorfreude auf meine zweiten Olympischen Spiele in Folge. Am 11. September 2000 bestieg ich in Hamburg das Flugzeug, um über Frankfurt und Singapore nach Sydney zu fliegen.
Im Vorfeld wurde viel diskutiert, ob Sydney den "kommerziellen Gedanken" von Atlanta fortführen, oder ob der olympische Gedanke siegen würde.
Mit mehreren europäischen Kollegen trat ich ab Frankfurt die Reise nach "down under" an. Gegen Mitternacht hoben wir in Frankfurt ab, es lagen 11 ½ Stunden Flugzeit bis Singapore vor uns. Dort angekommen, wurde das Flugzeug gereinigt und aufgetankt. Aufenthaltsdauer auf dem Flugplatz ca. 2 ½ Stunden. Dann ging es in ca. 7 Stunden Flugzeit ohne Zwischenlandung direkt nach Sydney, wo wir morgens um 6 Uhr Ortszeit (in Deutschland 9 Stunden zurück) landeten.

Freundlicher Empfang

Der Empfang war erfrischend und wohltuend im Vergleich zu Atlanta. Direkt nach der problemlosen Paßkontrolle bekamen wir unsere Akkreditierungen, die jeder Teilnehmer an den Olympischen Spielen benötigt, um Einlaß zu seinen Wettkampfstätten zu erhalten. Innerhalb von 5 Minuten war alles erledigt. Keine Menschenschlangen, keine Wartezeiten, kein Ärger ! Inzwischen war das Gepäck auch schon auf dem Laufband und der Zoll wurde ohne Kontrolle passiert. Hoffentlich mußten wir jetzt nicht, wie in Atlanta, Stunden auf einen Bus warten, der uns zu unserer Unterkunft bringen sollte. Weit gefehlt !

Kaum waren wir in der Ankunftshalle, wurden wir von freundlichen, gutgelaunten und kompetenten Helfern in Empfang genommen, unsere Namen wurden abgefragt und innerhalb von 20 Minuten waren wir Bussen zugeordnet worden, die uns ohne Umweg in unser Quartier brachten. Die Reisezeit an das "andere Ende der Welt" betrug von Haustür zu Haustür 28 Stunden.

Unterkunft in einem College

Wie bei allen Olympischen Spielen werden die Kampfrichter sämtlicher Sportarten getrennt von den Sportlern untergebracht. Diesmal war es ein College, erbaut im alten englischen Stil mit dicken Mauern, langen, breiten Gängen und einem großen, offenen Innenhof. Die Zimmer waren in Ordnung und unsere Ankunft im College war so früh, daß wir noch unser Frühstück einnehmen konnten. Danach bloß nicht schlafen gehen! Um in den richtigen Zeitrhythmus zu kommen, hieß es durchmachen bis zum Abend.

Kleiner Stadtrundgang, Aufnahme erster Eindrücke einer phantastischen Stadt waren angesagt. Darling Harbour, das Zentrum des "Olympischen Freizeit-Parks" imponierte durch seine Vielfalt. Restaurants, Straßencafes, Gaukler, Entertainer und andere Sehenswürdigkeiten ließen die Zeit wie im Fluge vergehen.

Und endlich wurde es Abend ! Die Augen fielen schon von alleine zu und gegen 20 Uhr herrschte im College absolute Ruhe. Jeder hatte sich zur wohlverdienten Ruhe begeben. Nach dieser Nacht konnten nun die Olympischen Spiele endlich losgehen !

Die Eröffnungsfeier

Die Abholung zur Eröffnungsfeier mit Bussen und der Transport zum vorgesehenen Eingang klappte ohne Verzögerung. Ein kurzer Rundgang in der olympischen Anlage mit fast allen Sportstätten läutete das Großereignis ein. Und dann hinein ins Stadion. Fassungsvermögen : 110.000 Zuschauer. Und ich war einer davon ! Überwältigend !

Die Eröffnungsfeier übertraf alles bisher Dagewesene. Eine Vielfalt an Darbietungen mit dem Hauptthema Besiedelung, Entwicklung und Gegenwart Australiens bis zum heutigen Tage vermittelte dem Zuschauer das Gefühl, er wäre selbst dabeigewesen. Sicherlich sind die Fernsehbilder der Eröffnungsfeier vielen Lesern noch in guter Erinnerung.

Am nächsten Tag begannen dann die Wasserballspiele. Sie wurden in einem Bad mit einem Fassungsvermögen für 9.000 Zuschauer ausgetragen, das nur für Wasserball genutzt wurde. Lediglich die Halbfinal- und die Finalspiele wurden ins Sydney International Aquatic Centre gelegt, wo zuvor alle Schwimmwettkämpfe stattfanden (mögliche Zuschauerzahl 17.000). Fast alle Spiele waren ausverkauft.

Fast täglich im Einsatz

Die erste Woche gehörte dem Frauenturnier. Frauenwasserball war in Sydney zum ersten Mal olympische Sportart. Es nahmen sechs Mannschaften teil und am Ende siegte, sehr zur Freude der einheimischen Bevölkerung, Australien vor USA und Rußland. Das Endspiel war an Dramatik kaum zu überbieten. Das entscheidende Tor fiel 1 Sekunde vor dem Ende der Verlängerung.

Im Frauenturnier wurden mir vier Spiele übertragen, unter anderem das Halbfinalspiel Australien gegen Rußland.

Es folgte sofort das Herrenturnier mit zwölf Mannschaften. Die Vorrunde wurde in zwei Gruppen ausgespielt. Die ersten vier Mannschaften jeder Gruppe spielten überkreuz die Viertelfinals, die Sieger daraus die Halbfinals. Danach ging es um die Medaillen. Siegreich war die Mannschaft aus Ungarn, vor Rußland und Jugoslawien.

Im Herrenturnier leitete ich sieben Spiele, unter anderen das Viertelfinale Australien gegen Jugoslawien und das Halbfinale Ungarn gegen Jugoslawien. Für viele das vorweggenommene Endspiel.

Eine unvergeßliche Abschiedszeremonie

Mit Abschluß des Herrenturniers gingen die Olympischen Spiele in ihre Endphase. Wir mußten uns beeilen, um von der Schwimmhalle ins Stadion zur Abschlußfeier zu gelangen. Und hier begann die Fortsetzung der Eröffnungsfeier. Die während der gesamten Spiele geprägte olympische Atmosphäre von Leichtigkeit, Herzlichkeit, Hilfsbereitschaft und fröhlicher Gemeinsamkeit wurde fortgesetzt bzw. fand ihren Höhepunkt.

Nachdem jedes Land offiziell durch einen Fahnenträger repräsentiert worden war, hatten alle teilnehmenden Sportler die Möglichkeit, im Innenraum des Stadions den Abschluß der Olympischen Spiele zu feiern. Und wie gefeiert wurde !

Zuerst der offizielle Teil mit Reden, Einholen der Olympischen Fahne und deren Weitergabe an den Bürgermeister von Athen, wo die Olympischen Spiele 2004 stattfinden werden. Nach dem Löschen der Olympischen Flamme folgte ein Feuerwerk an Vorführungen australischer Weltstars aus allen Bereichen wie Film, Sport, Mode und Musik, Musik, Musik.... Eine riesige Party, wie ich sie "live" vorher noch nie erlebt habe. Selbst die Zuschauer auf den Tribünen hielt es nicht mehr auf ihren Sitzen. Sie standen, tanzten, sangen und feierten ausgelassen "ihr" Fest, das nicht von materiellem Nutzen geprägt war, sondern das widerspiegelte, was wir alle während unserer Tage in Australien miterleben durften. Die Olympischen Spiele wurden zu dem zurückgebracht, was sie sein sollten und auch lange Zeit waren (große Ausnahme Atlanta), nämlich ein Treffen von Sportlern aus allen Ländern der Erde, bei dem der sportliche Wettkampf und die Völkerverständigung im Vordergrund stehen und nicht der kommerzielle Gewinn des Veranstaltungslandes.

Zu keiner Phase hatte man bei den Australiern, angefangen bei den Zuschauern, über die offiziellen Helfer bis hin zu den höchsten Funktionären, den Eindruck, daß die Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Anteilnahme an Sieg und Niederlage gespielt, aufgesetzt, befohlen oder unnatürlich waren. Die Menschen hatten sich geöffnet und damit eine Stimmung und Atmosphäre geschaffen, wie sie besser nicht hätte sein können !

Auch mit dem jetzigen Abstand von einigen Monaten bleiben nur positive Erinnerungen haften, die für mich mit dem Resümee enden: Es war in meiner langen, aktiven Zeit als Wasserball-Schiedsrichter die beste Veranstaltung, die ich jemals mitgemacht habe. Ich weiß, daß sich einige Passagen meiner Schilderung fast übertrieben anhören, aber so war es einfach! Es wird lange dauern, bis ich dieses besondere Erlebnis meiner zweiten Olympischen Spiele als absoluten Höhepunkt meiner sportlichen Laufbahn richtig verarbeitet habe.

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