Champions League, 6.Spieltag

Spiele, die die Welt nicht braucht
Ein bisschen Champions League und ziemlich viel Abenteuer für Spandaus Wasserballer in Wolgograd


Von Torsten Wendlandt, erschienen in der Berliner Morgenpost am 10.04.2000

Wolgograd - Schon der Flughafen-Kater von Wolgograd, der hinterm rostigen Gatter der Gepäckausgabe wohnt, zeigte keinerlei Achtung vor dem guten Wasserfreund aus der Partnerstadt Spandau. Völlig respektlos hinterlässt das haarige Tier seine ganz persönliche Duftnote - ausgerechnet auf der Sporttasche eines gebürtigen Russen.
Grinsend schnappt sich Alexander Tchigir, ein drahtiger Wasserball-Torwart der Weltklasse, sein «Katzenklo». Zum Fluchen gibt es keinen Grund. Fast 4000 Kilometer südöstlich von seiner neuen Heimat Berlin, 15 Reisestunden von seiner Frau und den beiden Kindern, ist der 31-Jährige trotzdem irgendwie daheim. Zu Hause irgendwo im größten Flächenstaat der Welt.
Der Moskowiter Tchigir durfte zuvor beim Moskauer Zwischenstopp in seiner Zweitwohnung nach dem Rechten sehen, sein hünenhafter Mannschaftskamerad Thomas Schertwitis, ein Kasache mit deutschem Pass, die Schwiegereltern besuchen. Auch die anderen aus der starken Spandauer «Russen-Fraktion», Alexander «Sascha» Elke, der Sohn eines kasachischen Wodka-Fabrikanten, und der ukrainische Modellathlet Igor Uchal sind glänzender Laune. Nicht nur, weil Schertwitis spaßeshalber gerade Kondome verteilt, während er zur bevorstehenden Leibesvisitation beim Moskauer Zoll hinüberschielt. Sondern, weil der 20 000 Mark teure Wasserfreunde-Trip an die Wolga eine seltene sportliche Lustreise verspricht.
Ein bisschen Wasserball, ein wenig echter Kaviar, den Tchigir später zum Mittagsdessert schon irgendwoher besorgen wird. Und etwas Abenteuer. Trainer Peter Röhle löst ein wenig die sonst straffen Zügel. Ein Sieg im letzten Spiel der europäischen Champions League bei Spartakus Wolgograd stört zwar nicht, aber er muss auch nicht unbedingt sein.
Der deutsche Rekordmeister aus Berlin und auch die Russen waren schon vorher ohne Chance auf das Erreichen des Final Four der Elite-Liga. Ein Spiel, dass die Welt nicht braucht. Ein Spiel um nichts, und trotzdem nicht nur um die Ehre. Ein Spiel für die Erfahrung zu wissen, wie man auf ungewohntem Terrain den Kopf über Wasser behält.
Schließlich sind die Wasserfreunde in 21 Jahren Europacup-Geschichte das erste Mal überhaupt in Wolgograd, dem bedrückenden Nachkriegs-Stalingrad, mit Betonklötzen, die vom schweren Rauch der Schornsteine in graue Tristesse getaucht sind. Mit grauen Wolgogradern, für die der Rubel noch viel spärlicher als in Moskau rollt. Die aber so langsam kosten wollen, wie der Westen schmeckt.
Aber auch ihnen ist ein solches Wasserballspiel trotz des grandiosen Prädikates absolut gleichgültig.
Zu Füßen der Mamajewo-Statue, dem gewaltigen Denkmal der deutsch-russischen Vernichtungsschlacht von 1943, liegt neben dem Stadion der Erstliga-Fußballer von Rotor Wolgograd die mit Asbest gebaute Schwimmhalle, die einem maroden Lokschuppen gleicht. Die Luft über dem alten Becken ist stickig, das Wasser trüb und viel zu warm.
«Hier würde Franziska van Almsick nicht mal den großen Zeh reinstecken», findet nicht nur Spandaus Kapitän Patrick Weissinger nach der ersten Besichtigung der Champions-League-Arena. Aber der Wasserfreund ist hart im Nehmen: «Was uns nicht umbringt, macht uns hart. Und wir müssen noch härter werden», sagt Röhle entschieden. «Solche Bedingungen und solche Spiele brauchen wir, auch wenn es um fast nichts mehr geht.»
Zwar hat der junge Deniz Pasaoglu (18) da so seine Zweifel («Bei der nächsten Russlandreise bin ich krank»), doch mit eng geschnürter Badehose stürzt sich nicht nur er kampfesmutig zum letzten Europacup-Gefecht in fremdes Wasser.
Auch für die Spartakus-Spieler ist es mehr als nur eine Spaßveranstaltung in einem russischen Bad. «Vom Erfolg hängt die Höhe ihrer Prämie ab», weiß Alexander Tchigir von seinem Wolgograder Kumpel Sergej Markotsch - das schafften sie auch mit einem 11:9 (3:3, 4:1, 1:2, 3:3) über die Spandauer.
Viel ernstere deutsch-russische Wasserballereien gibt es allerdings im Mai in Hannover, wenn sich die jeweils fünf Nationalspieler beider Teams um das Olympiaticket mühen. Da geht es dann um mehr als nur Kaviar. Oder vielleicht trifft man sich im nächsten Jahr sogar im Final Four der Champions League?
Wer weiß. Budjet, sagt der Russe, es wird schon langsam werden.

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